Otto Stradal *) schrieb 1966 über Fürstbischof Firmians Dorf, Alt Ober-St. Veit
Im Juli 2008 habe ich mich ein wenig umgesehen und musste den Text anpassen, denn es hat sich einiges verändert.
Vom unteren Hang des Hagenberges grüßt weithin der Zwiebelturm der schönbrunnergelben Barockkirche, die wie eine wahre Gottesburg auf hoher Umwallung steht. Das Lied ihrer Glocken - die größte ist Anno 1745 von dem berühmten Joseph Pfrenger gegossen worden - klingt weithin über das morgendliche Wiental. Bis zu den Wäldern um die Jubiläumswarte und bergwärts in die sonntägliche Stille des hinter der Tiergartenmauer träumenden Nicolaiberges. Unmittelbar zu Füssen dieser Kirche und des benachbarten erzbischöflichen Schlosses aber - seine Grundmauern stehen seit 1365! finden wir noch heute das ganz bezaubernde Dorf des Fürstbischofs Firmian! Ja, so kann mit Fug und Recht ein ganz besonderer Teil der Wienerstadt sich nennen, den freilich die dort Wohnenden selbst nur bezeichnen: ,,Bei uns, im alten Ober-St. Veit…“
Wohlgemerkt: im alten! Denn die stets wachsende Großstadt hat sich längst weithin ausgedehnt, auch mit neuen Bezirksteilen von Hietzing, die man heute offiziell auch zu Ober-St. Veit zählt.
Da führt etwa die Einsiedeleigasse schon lange nicht mehr zu dem einst so weltfernen Schlößl, das sich im Jahre 1748 ein lebenssatter Beamter der Böhmischen Hofkanzlei gemeinsam mit dem Stallmeister des Prinzen von Hildburghausen gebaut hatte, der auch nur noch ,,seine heilige Ruh“ haben wollte. Sondern eine ,,Vielfach-Siedelei“ tut sich heute hier, am Hang des Gemeindeberges auf, mit neuen, wunderschön gelegenen und mit prächtigen Grünanlagen ausgestatteten Wohnhausanlagen der Gemeinde Wien.
In der Einsiedeleigasse Nr. 10 wurde 2008 ein Jugendstilhaus frisch renoviert. Seit einiger Zeit beherbergt das Haus eine Apotheke.
In der Vitusgasse gibt das Haus Nr. 6 als alter Bauernhof noch eine Vorstellung davon, wie einmal die berühmten Ober-St. Veiter Meiereien ausgesehen haben.
Im 19. Jh. setzte sich die Milchwirtschaft gegenüber den nicht erfolgreichen Weinbau durch (mehr als 150 Kühe, 2 große Meiereien: Familien Glasauer und Wimpissinger).
Vitusgasse Juli 2008
Vitusgasse 1910
Die Erzbischofgasse, die Vitusgasse und die Adolfstorgasse repräsentierten 1966 das ,,Neu-Ober-St. Veit“. Aber streift man durch die Gassen des alten einstigen Dorfes, das unter besagtem Fürstbischof Leopold Maximilian Graf von Firmian in der Biedermeierzeit seine schönste Blüte hatte, dann entdecken wir noch viel Romantik und manche Überraschungen. So finden wir noch immer vor Schloß und Kirche den Park, den dieser Oberhirte hat anlegen lassen, und in der Hietzinger Hauptstraße Teile der von, ihm gepflanzten Allee.
Glasauergasse Juli 2008
Glasauergasse 1911
Von dem nach Wiens erstem Fürstbischof Anton Wolfrath benannten Platz vor der Kirche zweigt die Glasauergasse ab. Sie hält die Erinnerung wach an den einstigen Bürgermeister Glasauer, dem Firmians Dorf viel verdankte.
Die Häuser Nr. 7 und Nr. 9 sind noch echte Weinbauernhäuser im fränkischen Hofstil. Sie waren später auch Meiereien, wie heute noch die Fenster der längst zu Garagen gewordenen früheren Ställe erkennen lassen. Eine Bautischlerei ist heute in dem stattlichen, schön renovierten weiten Hof auf Nr. 24 untergebracht.
Das Haus Nr.34 zeigt sogar noch im spätgotischen Stil (auf Kragsteinen vorgebaut) einen Erker mit den typischen ,,Spionfensterln“. Auch hier waren liebevoll pflegende Hände am Werk.
Nach Schuberts einstigem Verleger und heute noch der Schreck Klavier lernenden Kinder Anton Diabelli, ist jene Gasse benannt, die zum wunderschönen Streckerpark führt. Unter mächtigen Bäumen Pensionistenbankerln nebst Tischen für Schachspiel und Tarock. Und auch ein ebenso mächtiger Gedenkstein. Im Jahre 1908 hat Bürgermeister Lueger an dieser Stelle des alten Ober St. Veiter Friedhofs den nach einem verdienstvollen Gemeinderat benannten Streckerpark anlegen lassen. Der stimmungsvolle Park ist Mittelpunkt eines ,,Straßensternes“, von dem uns die Sommerergasse besonders anspricht.
Denn nach dem stattlichen Haus der alten St.-Veiter Apotheke wird sie plötzlich zum Gasserl. Und dann zu einem ganz schmalen, verschwiegenen Wegerl zwischen hohen Mauern und altersgrauen ,,Planken", über die mit allen Kraft das Grün stiller, hochsommerlicher Gärten wuchert. Ab und zu nur eine einsame Gaslaterne. Gott sei Dank, sie sind ja doch nicht alle verschrottet worden, unsere vielbesungenen Wiener Gaslaternen. Nur hat man sie - stilecht belassen - mit elektrischen Glühlampen ausgestattet.
Mit mancher Krümmung geht es immer weiter, und eine lang gestreckte Hausmauer taucht auf, darüber ein recht bejahrtes Dach mit Kaminen, wie sie die einstigen Neujahrskarten der Wiener Rauchfangkehrer schmückten.
Dann steht man plötzlich überrascht vor dem ehemaligen ,,Ober-Sankt Veiter Kasino“ fast am Ende der Hietzinger Hauptstrasse. Jetzt ist dort ein Drogerie Markt untergebracht. Und liest auf einer Gedenktafel ,,Am 19. März 1893 erklang hier zum ersten Mal der Deutschmeistermarsch von August Wilhelm Jurek“ Über der Inschrift, schön in Stein gemeißelt ein alter Deutschmeistertschako, von Eichenlaub umkränzt, und darunter das Zeichen der ,,Gesellschaft der Wiener in Wien“, die 1953 diese Tafel gestiftet hat. Das weltberühmt gewordene Marschtrio ,,Wir san vom k. u. k. Infantrieregiment...“ ist also zum ersten Mal im Dorf des Fürstbischofs Firmian erklungen. Hier, wo droben beim „Himmelhof“ der Wienerwald der Großstadt die Hand reicht.
Die von Otto Stradal beschriebenen Häuser Hietzinger Hauptstraße Nr. 154 und Nr. 123a haben modernen Bauten weichen müssen. Auch von der wunderschönen alten Allee, die die hochherrschaftliche Auffahrt hinter einem altmodischen Gitterzaun erkennen lässt – sind nur zwei Kastanienbäume übrig geblieben. Die östliche Begrenzung des alten Ober-St. Veit in der Rohrbacherstraße hat auch keine alten Gärten und besonders keine unverbaute Wiesengründe mehr. Daher findet auch das abendliche Grillkonzert kaum mehr statt.
Eine Miniatur aus der Geschichte der sportlichen Geselligkeitsvereine vergangener Zeiten ist der Name des kleinen Gasthauses ,,Zum lustigen Radfahrer“ in der Rohrbacherstraße 21. Und im Hof des Hauses 23 mit seinen richtigen Pawlatschen scheint überhaupt die Zeit stillzustehen. Aber da hat uns auch eine andere Gedenktafel erinnert, dass in diesem ,,Dorf“ am Wiener Stadtrand viel Bedeutsames in der Geistesgeschichte Österreichs geschehen ist. Da hat im Haus Auhofstraße 144 von 1901 bis zu seinem Tod im Jahre 1924 der österreichische Afrikaforscher Friedrich Julius Bieber gelebt und seine maßgeblichen Werke geschrieben.
Abends dann sind wir zugekehrt in der von der Auhofstrasse ansteigenden Firmiangasse selbst. Auf Nr. 11, in einem richtigen Alt-Ober-St.-Veiter Heurigengartenhof: ,,A greaner Tisch, a glatte Bank „net ghobelt und poliert.“ Und darüber rankt sich das Weinlaub, steht an diesem Sommerabend der Mond und klingt der gemessene Stundenschlag von dem vom Meister Mathias Gerl Anno 1745 erbauten Turm der Ober-St. Veiter Kirche. Die Nachbarhäuser in dieser Firmiangasse sind vielfach noch geduckt und klein und traulich. Eben ein Stückchen Dorf am Rand der Großstadt, einen besinnlichen Urlaubstag wert.
I' hab' halt a Faible für Ober Sankt Veit (Ausschnitt)
*) Der Autor und Publizist Otto Stradal wurde am 12. März 1911 geboren, gerade als seine Familie nach Hietzing übersiedelte.
Professor Otto Stradal war von 1950 bis zu seinem Tode am 7.12.1982 für die Zeitung "Kurier" tätig. In den Kolumnen "Mein Österreich" und "Bei uns am Grund" schrieb er über Kunst und Kultur in Österreich. Mit seinem Bruder Ob. med. Rat Prim. Dr. Albert Stradal besass er einen Schrebergarten in der Kleingartenanlage Trazerberg, Trazerberggasse 8. Dort gibt es heute einen Stradalweg.